Königin 2.0

Die Frage nach Schein und Sein, Vorstellung und Wirklichkeit hat sich mir erst gestern wieder gestellt. Auf einer Lesung. Man kennt das ja: Man liest ein Buch, freut sich auf den zugehörigen Film, sitzt im Kinosessel und denkt sich: Wie bitte? Das hatte ich mir aber ganz anders vorgestellt. Ähnlich ging es mir gestern. Es war eine Lesung von Michael Nast.

Viele, die diesen Blog lesen und sich für derartige Themen interessieren, kennen Michael Nast vermutlich. Der Mann schreibt unter anderem eine Kolumne in der Frauenzeitschrift „Freundin“ und hat mehrere Bücher veröffentlicht. Darunter auch den Bestseller „Generation Beziehungsunfähig“. (Ein Buch, das demnächst mit Matthias Schweighöfer verfilmt wird – eine Tatsache, die nun entweder begeistern oder abschrecken kann und völlig unabhängig von der Qualität des Buches betrachtet werden sollte.) Es ist, Lesung hin oder her, ein Buch, das ich jedem nur empfehlen kann. Für diejenigen, die es nicht kennen: Er beschreibt darin genau die Probleme, die unsere Generation hat. Wir konsumieren Menschen wie Gegenstände, wählen potenzielle Partner bei Tinder & Co. auf die gleiche Weise aus, in der wir auch in Onlineshops unsere Lieblingsartikel bestellen oder wieder aus dem Warenkorb entfernen. Wir sind nie zufrieden mit unserem Leben, haben ständig das Gefühl etwas optimieren zu müssen, erfolgreich und außergewöhnlich zu sein. Erwachsen fühlen wir uns auch mit Mitte 30 nicht. Er erzählt von Problemen bei der Partnersuche, von Schwierigkeiten in Beziehungen und verdeutlicht das äußerst gelungen durch Beispiele aus seinem eigenen Liebesleben und den Erfahrungen seiner zahlreichen Freunde und Bekannten. Klingt zunächst einmal wie eines der tausend Selbsthilfe- und erfahrungsbücher, die immer wieder auf den Markt geworfen werden. Es ist aber tatsächlich anders. Denn der Mann ist klug. Er bringt die Dinge auf den Punkt. Man erkennt sich wieder – genau wie viele Menschen aus dem eigenen Umfeld. Und man fängt an nachzudenken. Über sein eigenes Verhalten, sein Leben. Wenn im Klappentext steht „Dieses Buch liest sich wie ein Gespräch mit dem besten Freund“ ist das keine Floskel. Das Buch ist kein Ratgeber, Nast bietet keine Lösungen. Aber er macht einem vieles begreiflich. Mit jedem Satz, den man liest, wird klarer: Dieser Mann hat offenbar sehr viel auf dem Kasten. Und das ist heutzutage ja leider nicht mehr selbstverständlich. Aus den Kapiteln springen dem Leser Intelligenz, Selbstreflektion, Witz, Charme und auch eine umfassende Allgemeinbildung entgegen. Auch das sind Dinge, die mittlerweile leider oft Mangelware sind. Nast zitiert gerne Farin Urlaub und Die Ärzte, was bei mir grundsätzlich Pluspunkte einbringt. Und er prangert sogenannte Selbstdarsteller an, Menschen, die man ohne Instagram-Filter erst auf den vierten Blick erkennt. Leute, die sich ständig in Szene setzen müssen und immerzu nach Beifall gieren.

Und dann kommt man zu seiner Lesung und stellt fest: Er ist einer von ihnen. Er steigt auf die Bühne und ordert zunächst mal ein Glas Wein mit der Begründung, normalerweise trinke er bei seinen Lesungen Bier (was auf seinem Tisch auch schon bereitgestellt war), hier hätten ihn nun aber die Weinvorräte hinter der Bar angesprochen. Also musste der Veranstalter, der sich bereits hinter den Kulissen befand, vor aller Augen ein Glas Wein organisieren. Jeder seiner Schritte wurde dabei von Nast beäugt und mit witzig gemeinten Kommentaren bewertet. Aber wie das oft ist im Leben: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Er ist nunmal kein Comedian, sondern Autor. Stattdessen wirkte er wie ein Autor, der einen Comedian spielt. Und genau darin liegt das Problem. In mangelnder Authentizität. Vielleicht habe ich die falsche Art von Humor, denn das (mehrheitlich weibliche) Publikum hatte er damit größtenteils im Sack. Die Frauen lachten, als hätten sie gerade die beste und lustigste Geschichte ihres Lebens gehört. Und das schon, als Nast sich auf seinen Stuhl gesetzt und noch kein Wort gesprochen hatte.

Und ich schätze, genau das ist das Problem. Oder zu seinem Problem geworden. Der Mann weiß, dass er gut ankommt und lebt es aus. Ihm scheint der Erfolg zu Kopf gestiegen. Er setzt sich in Szene, er zelebriert das Austrinken dieses Weinglases so sehr, dass man am liebsten aufstehen und es ihm aus der Hand reißen möchte. Das Schlimmste dabei: Es wirkt nicht natürlich. Wenn ein Mario Barth auf der Bühne steht und seine Witze reißt, finde ich das auch nicht lustig. Aber ich nehme es ihm ab. Weil ich das Gefühl habe: Der Typ ist einfach so, er ist (auf tragische Art und Weise) authentisch. Hier ist genau das Gegenteil der Fall.

Michael Nast liest unterdessen Kapitel aus seinem Buch und lacht vor sich hin in froher Erwartung der nächsten Pointe. Und das Publikum grölt und liebt ihn dafür. Vielleicht haben diese Menschen nur sehr geringe Erwartungshaltungen, sind leicht zufriedenzustellen oder haben selbst schon das ein oder andere Glas Wein intus. Ich weiß es nicht. Beruhigt und mit meiner Meinung nicht ganz alleine fühle ich mich, als ich hinter mir eine Frau zu ihrer Nebensitzerin sagen höre: „Das wirkt alles so inszeniert.“ Und das trifft es auf den Punkt. Es ist eine Inszenierung, ein Schauspiel. Ein Stück, in dem der Hauptdarsteller irgendwie fehl am Platz wirkt. Wie jemand, der eigentlich Angst vor der Menge hat, wegen seines Erfolges aber nun einmal da raus muss. Er wirkt, als hätte er eine Rolle einstudiert, die er nun gnadenlos durchzieht. Als er den Wein bestellt und das mit einem vermeintlich witzigen Spruch kommentiert, merkt er wohl, dass er etwas übers Ziel hinausgeschossen ist und schiebt hinterher: „Das war natürlich Spaß, nicht dass es heißt, der Nast ist so selbstverliebt. Das hat eine Zeitung nämlich tatsächlich mal über mich geschrieben!“ – und mir ist völlig klar wieso. Ich nehme ihm ab, dass er es nicht so meint, dass er nicht wirklich selbstverliebt ist. Aber die Rolle, die er spielt, ist es. In seinen Büchern schreibt er immer wieder einmal, dass er ein schüchterner Mensch ist. Einer, dem es gar nicht so leicht fällt, Frauen anzusprechen, die er toll findet. Und da schließt sich mir der Kreis: Er wirkt wie ein schüchterner Mensch, der einen selbstbewussten, lockeren und witzigen Typen spielt. Nur ganz vereinzelt, wenn er zwischen den Kapiteln etwas erzählt oder eine kurze Anmerkung zu einer Geschichte macht, wenn er aus ebendieser Rolle fällt, blitzt der möglicherweise echte Michael Nast durch. Dann wirkt er wie der Mann, den man sich beim Lesen vorgestellt hat. Das sind allerdings Sekunden und schon ist er zurück und spielt den selbstverliebten Mann, der alle drei Minuten mit großer Geste zum Weinglas greift und versucht, dadurch Spannung zu erzeugen und cool zu sein. Und ich sitze da und frage mich: Wo ist der Mann hin, der genau diese Art von Typen kritisiert? Der mit Selfies nichts anfangen kann? Der ein Fan der Ärzte ist? Ich bin mir ziemlich sicher: Farin Urlaub hätte den Mann auf der Bühne nicht gemocht. Und das ist schade.

Warum ich so ausführlich auf diese Lesung eingehe hat seinen Grund. Denn es zeigt uns wieder einmal, wie sehr sich Vorstellung und Realität voneinander unterscheiden können. Ob ich den „wahren“ Michael Nast auf der Bühne erlebt habe, weiß ich nicht. Ich will glauben, dass der echte Michael Nast der ist, den man in seinen Büchern kennenlernt. Ein Mann, der die Antwort auf die Frage zu sein scheint, die da lautet: „Wo sind eigentlich all die guten Männer?“. Jemand, der authentisch ist.

Genau solche Dinge passieren oft ja auch beim Online-Dating. Wir schreiben, manchmal wochenlang, mit einem Menschen. Wir glauben ihn zu kennen und sind vollkommen überzeugt von ihm. Das ist der Schein. Wenn wir ihn dann treffen, fällt alles in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Weil wir merken: Dieser Mensch ist völlig anders als in unserer Vorstellung. Durch genau diese Vorstellungen haben wir so große Erwartungen, dass sie ein Mensch allein wahrscheinlich gar nicht erfüllen kann. Da wir es trotzdem erwarten, sind wir enttäuscht. Und schreiben den anderen ab, bevor wir die Chance dazu hatten festzustellen, dass er vielleicht doch so ist wie er sich beim Chatten gegeben hat. Nur eben nicht auf den ersten Blick.

Das Buch empfehle ich trotzdem ausdrücklich, genauso wie seinen Vorgänger „Ist das Liebe oder kann das weg?“. Denn, Lesung hin oder her: Schreiben kann der Mann. Er beschreibt verschiedene Lebensmodelle und Geschichten, ohne jemanden für sein Verhalten zu verurteilen. Er ist klug und witzig und regt zum Nachdenken an. Und ein bisschen toll finde ich ihn deshalb immer noch.