Neues Jahr, neues Glück.

„Schalten Sie Ihren Kopf aus. Dann können Sie sich 2015 hemmungslos fallen lassen – direkt in die Arme von Mr. Right.“ – Das zumindest verspricht mir mein Horoskop fürs neue Jahr. Klingt ja erstmal sehr vielversprechend. Allerdings, und da liegt der Haken: ich muss selbst etwas dazu beitragen. Weiterhin heißt es nämlich, ich solle unvoreingenommen sein – und das ist ja bekanntlich nicht unbedingt meine große Stärke. Neben der großen Liebe werde ich aber auch mit einem unglaublich tollen Sexleben beschenkt – aber nur für den Fall, dass: „Sie an Ihrem Auserwählten nichts, absolut gar nichts auszusetzen haben, und bereit sind, Ihren prüfenden Blick aufzugeben, mit dem Sie alle Menschen studieren.“ Auch nicht gerade eine meiner leichtesten Übungen. Aber bitte, der Mensch ist ja lernfähig.

Wenn ich zurückdenke, war ganz oft genau das mein großer Fehler: dieser viel zu prüfende Blick. Dieses Bewerten anderer Menschen. Diese Frage, ob der andere meinen Ansprüchen genügen kann. Tatsächlich meinen eigenen Ansprüchen? Oder nicht vielleicht doch den Ansprüchen der anderen? Bei mir hat dieses Bewerten nämlich bei meinem ersten Freund angefangen. Vorher war mir ziemlich egal, was andere Leute über mich dachten. Oder über jemanden denken könnten, den ich liebe. Mit meinem ersten Freund war ich glücklich. Ich war gerade fünfzehn Jahre alt geworden und aber generell leicht zu verunsichern. Ein paar Monate war alles toll und ich war stolz darauf, einen Freund zu haben, der mich nach dem Unterricht abholte und mit dem ich auf dem Schulhof knutschen konnte. Im Nachhinein und aus der Perspektive einer Erwachsenen betrachtet würde ich das nicht wieder tun. Aber damals fand ich mich ziemlich cool. Ich fand die ganze Situation so lange toll, bis ich im Internet zufällig auf den Kommentar eines Schülers aus meiner Jahrgangsstufe stieß, der sich abfällig über das Aussehen meines Freundes äußerte. Von der heutigen Warte aus war das absolut nicht nachvollziehbar, da er wirklich gut aussah. Ich weiß bis heute nicht, was dieser Unsinn sollte, vermutlich war es einfach die Dummheit eines Neuntklässlers. Damals aber hat es mich tief getroffen. Und ab diesem Moment konnte ich nicht mehr wirklich zu meinem Freund stehen. Ich habe angefangen, mich für sein Verhalten zu schämen, für sein Aussehen, seine Kleidung, einfach für alles. Es ist leicht zu erraten, dass die Beziehung nicht mehr allzu lange angehalten hat. Seit diesem Moment war mir bei der Partnerwahl am wichtigsten, was die anderen dachten. Würde meine Familie ihn mögen? Meine Freunde? Würden alle anderen, die uns sahen, mich um ihn beneiden? Am besten sollte er nicht zu ausgeflippt sein, nicht zu verrückt, nicht zu eigen. Einfach nicht außergewöhnlich. Und so kam es, wie es kommen musste: mein nächster Freund wurde niemand, nach dem ich mich verzehrt hätte, sondern einfach ein netter, harmloser und für mich wohl ein bisschen zu langweiliger Typ. Den ich dann aus eben diesen Gründe nicht gut verlassen konnte. Aber auch bei ihm hatte ich ständig die Angst, dass er für alle anderen nicht cool genug sein könnte. Ich stand mir einfach selbst im Weg. Ich wusste, dass es falsch und dumm war, aber ich konnte nichts dagegen tun.

Nachdem ich ein paar Jahre außer Gefecht gesetzt gewesen war, habe ich im letzten Jahr einen Mann kennengelernt, der endlich so war, wie ich es immer haben wollte. Er war toll. Alle fanden ihn toll. Er war klug, gebildet und sah umwerfend aus. Und ich wusste: mit ihm zusammen würde mich jeder cool finden. Es ist wohl Ironie des Schicksals, dass ich zu dem Zeitpunkt selbst wahrscheinlich nicht cool genug für ihn war. Im Nachhinein kann ich sagen: das war gut so. Er sah toll aus, aber seine Art hätte mich auf Dauer nicht angezogen. Und dann traf ich – mittels Tinder – auf einen Mann, von dem ich hier auch schon berichtet habe. Ich lernte ihn kennen und er zog mich völlig in seinen Bann. Der Witz bei der Geschichte: er hatte ein Handicap, einen körperlichen Makel, etwas, das ihn alles andere als perfekt machte. Und er hatte Ansichten, die andere als seltsam ansehen würden, vielleicht sogar als verschroben. Aber es war genau diese Art, die mir gefiel. Dieses Abgehobensein von der Masse. Und zum ersten Mal wurde mir bewusst: wenn ich jemanden so toll finde wie ihn, ist es mir vollkommen egal, was andere von ihm denken. Und wenn ich der einzige Mensch auf dieser Welt bin, der ihn toll findet: na und? Das eigene Glück ist wichtiger als das Gerede der anderen, das wurde mir in diesem Moment klar. Ja, und auch das ist vielleicht Ironie des Schicksals: er wollte nichts Festes, vermutlich wollte er eigentlich gar nichts. Ich hatte daran lange zu kauen, auch wenn ich das natürlich niemals zugegeben hätte. Aber ich musste seine Entscheidung akzeptieren.

Und jetzt habe ich jemanden kennengelernt, der wieder anders ist als der Durchschnitt. Ob ich ihn mehr als nur nett finde, kann ich noch nicht sagen. Im ersten Moment dachte ich: „Irgendwie hast du aber auch ein Talent dafür, dir Männer auszusuchen, die nicht der Norm entsprechen.“ Bis mir dann klar wurde: vermutlich gibt es das nicht: DIE Norm. Jeder ist anders und jeder ist auf seine eigene Art und Weise richtig und normal. Und obwohl ich Horoskope gerne lese, aber nicht unbedingt daran glaube, ist vielleicht an der Aussage was dran. Deshalb lautet mein Vorsatz für 2015: Gib deinen prüfenden Blick auf und sei unvoreingenommen.