The ghost of you it keeps me awake.

In den letzten Tagen hatten die meisten von uns Besuch von einem sehr süßen, flauschigen Gesellen mit langen Löffeln und einem Körbchen auf dem Rücken. Idealerweise hat er ein Nest versteckt, bis oben hin gefüllt mit bunten Eiern, Schokohasen und dem ein oder anderen Geschenk. Ich kann nur eines für Euch hoffen: dass Ihr zu Ostern kein „Ghost„er-Ei bekommen habt. „Ein was?“ werdet Ihr fragen. Wohl dem, der nicht weiß, wovon ich spreche. Es ist ein Phänomen, das es wohl schon länger gibt, das aber in letzter Zeit scheinbar zur Modererscheinung geworden ist. Möglichweise trauen sich aber auch einfach immer mehr Leute, darüber zu sprechen. Jedenfalls ist es unter Freunden, in Zeitschriften und Fernsehsendungen Thema geworden und – zack – hat es einen hübschen, hippen Namen verpasst bekommen: „Ghosting“.

Fast jeder von uns ist im Laufe seines langen Dating-Lebens schon einmal Opfer dieser mehr als feigen Strategie geworden. Dieses nahezu gespenstischen Verhaltens. Vielleicht war der ein oder andere auch selbst schon mal als Geist im Einsatz. Nämlich immer dann, wenn er sich bei einem anderen Menschen kommentarlos nicht mehr gemeldet hat, denjenigen einfach aus seinem Leben gestrichen hat. Die Betroffenen, die von einem auf den anderen Tag plötzlich nichts mehr hören – keine Erklärung bekommen, keine Vorwarnung – haben irgendwann das Gefühl, der andere habe nie existiert. Als sei er eine Art Geist gewesen.

Zunächst dachte ich, Ghosting betreffe nur Leute, die sich nach dem ersten Date aus dem Staub machen. Weil sie den anderen nie mehr wiedersehen wollen. Denn da ist es eben – so daneben es auch ist – das einfachste, sich nicht mehr zu melden und zu hoffen, dass der andere schon alleine merken wird, wie der Hase läuft. So erging es mir bei einem meiner letzten Dates, als ich mit dem betreffenden Mann einen vermeintlich schönen Abend hatte – nur, um dann nie wieder etwas von ihm zu hören. Es war das zweite Mal, dass mir das passierte und natürlich zweifelte ich an mir selbst. Völlig klar – ich war schuld. Ich hatte diesen Mann in die Flucht geschlagen, er war überfordert mit mir, uninteressiert und das natürlich zurecht. Wie immer suchte ich die Schuld zuallererst bei mir selbst . Allerdings bin ich dafür prädestiniert: Wahrscheinlich könnte mir jemand die Handtasche klauen und ich wäre der Meinung, selbst schuld daran zu sein. Im Gespräch mit Freunden merkte ich dann aber plötzlich: So etwas hat jeder schon erlebt. Und das nicht nur nach dem ersten Date. Ein Freund hatte monatelang Kontakt mit einer Frau, die er sehr mochte. Bis sie die Sache von heute auf morgen grundlos abbrach und ihn in einem völligen Sumpf unbeantworteter Fragen zurückließ. Eine Freundin hatte einen Mann kennengelernt, ihn mehrfach getroffen, alles lief scheinbar super – bis er plötzlich Hals über Kopf die Flucht ergriff, sich nie wieder meldete – und dadurch jede Menge Verwirrung stiftete. Und auch ich war verwirrt – wenn es den anderen genauso erging, konnte es nicht allein an meiner eigenen Unzulänglichkeit liegen. Also begann ich zu recherchieren.

Ich stieß auf den Begriff „Ghosting“. Und musste feststellen – das passiert nicht nur nach dem ersten Date, sondern mitunter sogar nach langjährigen Beziehungen. Wie bitte, dachte ich? In einem solchen Fall sollte doch wohl eine Erklärung, ein Gespräch drin sein. Ist man das dem anderen nicht schon allein aus Respekt schuldig? Sollte uns das nicht der Anstand sagen, dass ein solches Verhalten völlig indiskutabel ist? Offenbar nicht. Eine nicht wirklich zufriedenstellende Erklärung ist die, dass der „Ghost“ das Ende der Beziehung bereits mit sich selbst besprochen hat und alles nur noch schnellstmöglich hinter sich lassen will. Also nichts wie weg und so tun, als hätte man sich nie gekannt. Nach unverbindlichen Dates ist das sogar noch einfacher. Denn viele Geister denken, sie seien dem anderen zu einem so frühen Zeitpunkt noch überhaupt keine Erklärung, keine Vorwarnung schuldig. Und machen sich aus dem Staub. Ein Freund machte mir klar, dass vor allem Männer durch dieses Verhalten Konfrontationen vermeiden wollen – und gar nicht darüber nachdenken, wie sich die betroffene Frau dabei fühlen könnte. Sie melden sich auch deshalb nicht, weil sie sie nicht unnötig verletzen wollen. Sie kommen gar nicht auf die Idee, dass sie mit ihrem Verhalten genau das tun. Dass es für sie viel leichter wäre, abzuschließen, wenn sie wüsste, dass es vorbei ist. Da reicht sogar eine kurze SMS. Kommt dieser Schlusspunkt nicht, denken wir uns zahlreiche abstrusen Entschuldigungen und Erklärungen aus. Und sind nicht bereit für Neues, weil wir die alte Sache für uns selbst nicht beenden konnten.

Wer irgendwann realisiert, dass er ein „Ghosting“-Opfer geworden ist und merkt: „Vermutlich liegt der Typ doch nicht im Koma“ oder „Wahrscheinlich befindet sich die Frau doch nicht seit drei Monaten in Isolation, abgeschnitten von der Außenwelt“ – der muss versuchen, mit dem Verhalten des anderen zurechtzukommen. Dem Geist nicht hinterherzutelefonieren. Ihm nicht irgendwo aufzulauern. Denn, seien wir einmal ganz ehrlich zu uns selbst: Jemanden, der sich so schäbig verhält, wollen wir auch gar nicht zurück. Er wird uns niemals gut tun. Und uns höchstens die Sicht verstellen auf denjenigen, der genau richtig für uns sein könnte.

Wer erkennt, dass er sich selbst wie ein Ghost verhält: Mist gebaut, mein Freundchen. Aber ohne lange Moralpredigten halten zu wollen: Glaubt mir, mit einer kurzen Nachricht an die betreffende Person lebt es sich leichter. Für beide Seiten. Ihr habt die Sache anständig beendet. Da ist gar keine ausschweifende Erkärung nötig. Ein kurzes „Es tut mir leid, aber es passt doch nicht.“ ist völlig ausreichend. Der andere wird dann nicht mehr wie paralysiert alle zwei Sekunden aufs Handy starren und hoffen. Er weiß, woran er ist und kann abschließen. Auch Sätze wie „Das war ein sehr schöner Abend!“ oder „Das sollten wir bald wiederholen!“ sind nach einem Date, das dem Geist so gar nicht gefallen hat, eher nicht angebracht. Wer keine unnötigen Hoffnungen weckt muss sich hinterher gar nicht erst aus der Affäre ziehen.

Ich glaube nicht, dass „Ghosting“ ein absichtlich bösartiges Verhalten ist. Es scheint auf den ersten Blick nur das einfachste zu sein. Um besser nachvollziehen zu können, wie sich „Ghosting“ für „Täter“ und „Opfer“ selbst anfühlen, ist  es das beste, sich ihre Geschichten selbst anzuhören (Hier geht’s zu einem entsprechenden Artikel der New York Times). Es sind keine typischen schaurig-schönen Gespenstergeschichten. Aber sie könnten eine Erklärung sein. Und wer dann sieht, dass Ghosting auch Hollywoodstars wie Sean Penn passieren kann – der ist vielleicht mit der Welt und sich selbst wieder ein kleines Stückchen mehr im Reinen.