Once.

„Was macht diese Frau? Ist sie nach Hawaii ausgewandert und hat eine Surfschule eröffnet? Erzählt sie nicht mehr uns, sondern buddhistischen Mönchen in Tibet Weisheiten übers Leben? Hat sie die Partnersuche und vor allem: das Schreiben – einfach aufgegeben?“

Möglich, dass ihr euch diese Fragen gestellt habt. Vielleicht hattet ihr auch Gedanken im Kopf, die eher nach „Gott sei Dank lässt uns diese neunmalkluge Tante endlich in Ruhe“ geklungen haben.

Fakt ist: Meine Abstinenz hat mehrere Gründe. Würde ich einen auf very important business lady machen wollen, dann würde ich sagen: es ist der Job. Ich bin so vielbeschäftigt, dass ich nicht mehr zum Schreiben komme. Aber das ist eben nur die halbe Wahrheit. Denn Fakt ist auch: Ich wollte nicht. Mein Kopf war leer, ich fühlte mich ziellos und ohne Antrieb. Und hatte für mich selbst keinen schlauen Rat parat.

Die letzten Monate hatte ich das Gefühl, hinterherzuhinken. Ich liebe meinen Beruf. Er erfüllt mich. Ich liebe meine Freunde. Meine Familie. Ich habe Dinge in meinem Leben, die mich glücklich machen. Und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass etwas fehlt. Ein Partner? Zumindest kam es mir so vor. Alle anderen schienen glücklicher zu sein, alle schienen jemanden zu haben, mit dem sie ihr Leben teilen können. Der sie auffängt, der für sie da ist, der sie liebt. Ich fühlte mich, als wäre mein Leben ärmer als ihres. Als müsste ich mich für einen allein verbrachten Samstagabend rechtfertigen. Ich hatte das Gefühl, Mitleid auszulösen. Die Konsequenz war: Ich brauche, verdammt nochmal, einen Partner. Jemanden, der mich vollständig macht. Und glücklich. Glücklicher.

Aber wie? Auf Tinder hatte ich keine Lust mehr. Im realen Leben hatte ich es nicht hinbekommen. Ich las von einer neuen App mit dem schönen Namen „Once“. Spontan ging mir der Satz „Once upon a time…“ durch den Kopf und ich dachte: etwas, das schon nach Märchen klingt, könnte doch eines sein. Was diese App besser, schöner, erfolgversprechender machen sollte, war folgendes Konzept: Jeder Nutzer bekommt pro Tag nur einen einzigen Partnervorschlag. Im Gegensatz zu Tinder, diesem „Wisch-und-weg-und-das-am-besten-sechzig-mal-pro-Minute“-System – ein einziger Vorschlag am Tag. Ich fand die Logik dahinter bestechend. Die Beliebigkeit, die durch andere Programme entsteht, fällt weg. Und ich beschloss, der Sache eine Chance zu geben. Ich registrierte mich mit meinem Facebook-Account, stellte ein, nach was oder wem ich suche und wartete auf meinen ersten Vorschlag. Um genau 11:30 Uhr erhielt ich ihn. Auf meinem Display erschien das Bild eines Mannes, den ich bei Tinder vermutlich sofort weggewischt hätte. Hier aber wusste ich: erst in 24 Stunden kriegst du wieder einen Vorschlag – vielleicht riskierst du lieber einen zweiten Blick. Ich schaute mir sein Profil im Laufe des Tages mehrfach an. Und dachte intensiv darüber nach, ob ich ihm den „Gefällt mir“-Stempel verpassen sollte oder nicht. Bevor ich zu einer Entscheidung kam, nahm er sie mir ab. Das ist neben der begrenzten Auswahl der wohl größte Unterschied zu Tinder: Drückt jemand „Gefällt mir“ sieht man es sofort. Ohne sich zunächst selbst entscheiden zu müssen. Also drückte ich denselben Button und wartete ab. Und es passierte – nichts. Da ich vorher für mich entschieden hatte, keinen Mann anzuschreiben, sondern lediglich zu antworten, war der Kontakt zu Vorschlag Nummer 1 damit beendet. Denn von ihm kam nie eine Nachricht. Warum? Gute Frage. Obwohl die Nutzer hier nur einen Vorschlag pro Tag erhalten, sind sie also nicht zwangsläufig kontaktfreudiger als bei Tinder. Ich machte das Spielchen ungefähr fünf Tage lang mit. Dann blinkte bei mir die erste Nachricht auf. Sie stammte von K., einem auf den ersten Blick netten, jungen Mann. Wir schrieben zwei Wochen lang hin und her, nach der ersten Woche fragte er das erste Mal nach einem Treffen. Im Gegensatz zu den meisten Tinder-Männern hatte er sich wirklich Gedanken darüber gemacht. Er schlug mir vor, gemeinsam eine Ausstellung zu besuchen, die mein früheres Studienfach zum Thema hatte. Eine sympathische Geste. Er hatte mir offenbar zugehört, war bereit, sich auf meine Interessen einzulassen und wollte mich wohl wirklich kennenlernen. Obwohl ich nicht vollends von ihm überzeugt war, sagte ich zu. Er machte eigentlich nichts falsch. Er war nett, schien einen guten Humor zu haben und fiel optisch in eine Kategorie, an der ich nicht wirklich etwas auszusetzen gehabt hätte. Und ich war schließlich auf der Suche nach einem Partner. Einer soliden Beziehung ohne Drama. Waren das dafür nicht gute Voraussetzungen, selbst wenn es auf den ersten Blick nichts gab, was mich tatsächlich an ihm gereizt hätte? Wir verabredeten uns für die kommende Woche und er schrieb mir weiterhin jeden Tag.

In dieser einen Woche bis zu unserem Date dachte ich viel nach. Der Auslöser dafür waren Gespräche mit Freunden. Nicht über mich. Sie berichteten mir, was in ihrem Leben gerade passierte. Sie erzählten von Affären, die teils schön und größtenteils sehr anstrengend waren. Sie erzählten von stalkenden Exfreunden. Sie erzählten, dass sie sich mal wieder unsterblich verliebt hätten und es dieses Mal garantiert der Richtige sei (nachdem ich den gleichen Wortlaut innerhalb eines Jahres bestimmt achtmal gehört hatte, mit jeweils wechselnden Männernamen). Sie erzählten, dass sie im Suff ihren Partner betrogen hatten. – Ich fühlte mich klein und unwichtig. Wie jemand, dem man aus seinem Leben erzählen kann, der aber selbst nichts zu erzählen hat. Das machte mich traurig.

Bis es mir wie Schuppen von den Augen fiel. Waren diese Leute glücklicher als ich, nur weil sie Dinge erlebten, die sich zu erzählen lohnen? Nein. Wollte ich mit ihnen tauschen? Nein. Fehlte mir etwas, weil ich nicht in ihrer Lage war? Nein. Und plötzlich wurde mir klar: Das was mir fehlt, ist kein Partner. Was mir tatsächlich fehlt – das bin ich selbst. Ich hatte so sehr das Gefühl gehabt, etwas beweisen zu müssen, einen Partner finden zu müssen, glücklich sein zu müssen, dass ich mich selbst darüber vergessen hatte. Ich hatte aufgehört, an mich zu denken. Daran, was mir selbst gut tut. Als mir das bewusst wurde, löste sich der Knoten in meinem Magen auf, der sich dort festgesetzt hatte, als ich beschlossen hatte, mich wieder mit einem Mann zu treffen, auf den ich nicht wirklich Lust gehabt hatte. Stattdessen sagte ich mir: Möglich, dass ich eine Chance vergebe, einen tollen Kerl kennenzulernen – aber dann ist das eben so. Kurz überlegte ich, ihn in der App einfach zu löschen – bis mir einfiel, dass mich das zu einem feigen Ghost machen würde, über den ich mich in meinem letzten Artikel beklagt hatte. Nein, ich würde es mit Anstand zu Ende bringen. Deshalb schrieb ich ihm und sagte, dass ich mich nicht mit ihm treffen würde.

Ja, ich habe manchmal Angst, dass ich mein Leben lang allein bleiben, dass ich nie eine Familie haben werde. Und wahrscheinlich wird diese Angst bleiben. Trotzdem fange ich genau jetzt damit an, mich um mich selbst zu kümmern. Mich endlich zu behandeln wie einen meiner besten Freunde: Ich werde für mich selbst da sein. Und ich werde Dinge tun, die mir gut tun. Der Rest wird sich finden – oder eben nicht. Wer sagt denn, dass mein Leben als Single nicht ebenso lebenswert sein kann? – Kurz nach diesem Entschluss fiel mir ein Jahreshoroskop in die Hände, das ich Anfang Januar aus einer Zeitschrift ausgeschnitten hatte. Ich glaube eigentlich nicht an Horoskope, aber wer weiß – vielleicht steckt ja ein Funken Wahrheit drin?

„Der Glücksplanet Jupiter ist im Sommer 2016 in Ihrem Sternzeichen. Vieles wendet sich zum Guten, und da, wo Sie schon nicht mehr daran geglaubt haben, öffnen sich bisher verschlossene Türen. Schauen Sie zuversichtlich und voller Vertrauen nach vorne.“